Amtlich geöffnet
Normalerweise wird ein Brief, der seinem Empfänger nicht zugestellt werden kann, wieder dem Absender ausgehändigt. Was aber, wenn der Absender auf dem Umschlag seine Adresse nicht angegeben hatte? Damals wie heute hilft dann nur eine Öffnung des Briefes, um auf diese Weise den Absender identifizieren zu können. Zu diesem Zweck wurden bereits im frühen 19. Jahrhundert bei den Postverwaltungen spezielle Abteilungen eingerichtet, die die Sendung öffneten und mittels eines Lacksiegels oder ab Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Verwendung einer gummierten Papieroblate wieder verschlossen. Die Verschlußmarken stellen ein eigenes Sammelgebiet dar, das in einem ausführlichen Handbuch von Gerhard Weileder [1] dargestellt wird.
Der abgebildete Beleg wurde am 14.10.1911 in Berlin aufgegeben und war an einen Herrn Karl Poths in Charlottenburg gerichtet, ordnungsgemäß mit einer MiNr. 85 für den Nachbarortsverkehr frankiert.
Leider war der Herr unter der angegebenen Adresse unbekannt, der zustellende Postbote vermerkte dies handschriftlich auf der Rückseite. Auch weitere Ermittlungen führten nicht zum Ziel. Damit war es ein Fall für die Retourkommission der OPD Berlin.
Die Rückseite mit verschiedenen Vermerken und zwei übereinander verklebten Retoursiegeln
Die Sichtung des Inhalts brachte leider auch keine verwertbare Absenderangabe. Selbst die Unterschrift war nicht einwandfrei zu entziffern. Somit blieb den Postbeamten nur das letzte Hilfsmittel. Die Unterschrift des Absenders wurde ausgeschnitten und auf die Vorderseite des Umschlags geklebt. Danach wurde der Umschlag auf dem Absendepostamt ausgehängt und darauf gehofft, dass jemand die Unterschrift erkennen und damit den Absender identifizieren könnte.
Das hat offensichtlich funktioniert, mit roter Tinte wurde notiert Abs vermutlich Ludw. Ranpp Intendantur der kgl. Schauspiele. Auf einem Vorbindezettel wurde für die Rücksendung dessen Adresse und das Datum vermerkt: Absender ist Ludwig Ranpp Jägerstraße 25 (Berlin) 56 20.10.
Das zweite Blatt des Inhalts mit der ausgeschnittenen Unterschrift
Das schöne bei diesem Beleg, dass auch der Inhalt mit der ausgeschnittenen Unterschrift erhalten geblieben ist. Bemerkenswert auch, dass es für das Aufkleben der Unterschrift sogar einen eigenen Klebezettel gab. Diesen habe ich vorher noch nie gesehen.
Ralf Graber
[1] Gerhard Weileder: Handbuch Retourverschlussmarken (Deutsche Gebiete), Eigenverlag München 1993